Lassen wir mal das vergangene Jahr Revue passieren: Im Sommer des letzten Jahres lenkte die Flüchtlingskrise die mediale Aufmerksamkeit auf sich. Euphorie und Fremdenhass wechselten sich bei den Schlagzeilen ab. Zwei Gebäude meiner Uni wurden zu Flüchtlingsunterkünften umgebaut – direkt am Campus. Als im Oktober das Semester wieder begann merkte ich eigentlich nicht viel von den Flüchtlingen. Ab und zu saßen junge ausländische Männer auf dem Mensavorplatz; nichts passierte. Hinsichtlich dieser Thematik zeichnete ich mich durch große Unscheinbarkeit aus. Weder half ich in den Flüchtlingsunterkünften mit, wie es viele eifrige Kommilitonen taten, noch verfasste ich irgendwelche Hassposts im Internet. Es betraf mein Leben eben nicht direkt.
Am 13. November war der Anschlag in Paris, bei dem 130 Menschen starben. Im März wurden dann 38 Menschen bei Anschlägen in Brüssel getötet und im Juli kamen 86 Menschen in Nizza ums Leben. Und diese Aufzählung umfasst jetzt nur die großen Terroranschläge in Europa. Und wieder betraf nichts davon mein Leben direkt. Ja, es ist alles furchtbar, aber machen kann ich da nichts. Es liegt außerhalb meiner Verantwortung. Und genau darüber hat Sacha Batthyany sein Buch „Und was hat das mit mir zu tun?“ verfasst.
Seiteninhalt
Ein Gruß aus der Vergangenheit
Die Familie Batthyany ist ungarischer Uradel – eines der bedeutendsten Adelsgeschlechter von Österreich-Ungarn. Die Wurzeln dieser Familie können zurückverfolgt werden bis zum Jahr 970 n.Chr., was Stand heute über 1000 Jahre her ist. Sacha Batthyany ist Journalist, lebte lange Zeit in der Schweiz und ist nun Auslandskorrespondent in Washington, D.C.. Das Buch „Und was hat das mit mir zu tun?“ beginnt mit dem Massaker von Rechnitz, an welchem Sacha Batthyanys Großmutter Gräfin Margit Thyssen-Batthyany beteiligt gewesen war:
Ende März 1945, am Abend vor Palmsonntag und wenige Tage vor dem Einmarsch der Roten Armee, veranstaltete Gräfin Margit Thyssen-Batthyany ein großes Fest für Nazi-Obere und Offiziere der Waffen-SS auf dem Schloss Rechnitz. Etwa gegen Mitternacht verlassen Gäste das Schloss und erschießen 180 jüdisch-ungarische Zwangsarbeiter am Bahnhof. Im Anschluss an dieses Verbrechen wird einfach auf dem Schloss weitergefeiert – als wäre nichts gewesen. Und was war mit Margit Thyssen-Batthyany?
Und was hat das mit mir zu tun Sacha Batthyany 2
Sacha Batthyany beginnt sich zu interessieren. Er kennt seine Großtante noch aus der Kindheit und er hat keine guten Erinnerungen an sie. Was ist genau an diesem Abend auf Schloss Rechnitz geschehen? Sacha Batthyany möchte eine Antwort und recherchiert.
„Und was hat das mit mir zu tun?“
Aber schon bald geht es Sacha Batthyany nicht mehr nur um die Aufklärung des Massakers. In einer Kneipe lernt Sacha Batthyany den Schriftsteller und Kritiker Maxim Biller kennen. Bei einem Glas Bier wird über Rechnitz erzählt und dann fragt Maxim Biller plötzlich: „Und was hat das mit mir zu tun?“ Ja, was eigentlich? Damit wendet sich alles. Sacha Batthyany ist nicht mehr nur daran interessiert irgendein vergangenes Verbrechen aufzuklären, er möchte wissen, wie es ihn heute noch beeinflusst, was seine Großtante damals getan hat oder auch nicht.
Die Familiengeschichte der Batthyany ist spannend; Sacha Batthyany erforscht noch andere Fragen: Was hat seine eigene Großmutter in der Zeit des Zweiten Weltkriegs getan? Was passierte im Gulag mit seinem Großvater? Der Journalist Sacha Batthyany geht sogar so weit, dass er sich in psychiatrische Behandlung zu Daniel Strassberg begibt. Als Leser bin ich dabei, wie Sacha Batthyany sich und die Vergangenheit seiner Familie im 20. Jahrhundert entblößt. An manchen Stellen bin ich mir ein bisschen wie ein Voyeur vorgekommen – das sollte doch alles nicht so öffentlich sein. Aber gerade die Ehrlichkeit und die tiefen Einblicke in die Gedankenwelt von Sacha Batthyany machen das Buch „Und was hat das mit mir zu tun?“ zu einer großen Lesefreude für mich.
3 krasse Zitate aus „Und was hat das mit mir zu tun?“
Wir hatten doch unsere eigenen Probleme, dachte ich, Migration, Orientierungslosigkeit, Globalisierung, über solche Sachen schrieb ich: zu viel Konsum, zu viel Porno, zu viele Möglichkeiten. (aus „Und was hat das mit mir zu tun?“ von Sacha Batthyany, Seite 17)
Das Geld hat euch stumm gemacht. Tante Margit hat bezahlt, und deshalb hatte sie die Macht. Sie entschied, worüber man spricht – und worüber eben nicht. (aus „Und was hat das mit mir zu tun?“ von Sacha Batthyany, Seite 74)
Wie kann man nur so blind sein?, frage ich mich. Wie geht das, dass ein ganzes Volk nicht hinsehen will? Aber ist es heute so viel besser? (aus „Und was hat das mit mir zu tun?“ von Sacha Batthyany, Seite 139)
Und ich?
„Und was hat das mit mir zu tun?“ ist kein angenehmes Buch. Es verstört ein bisschen und ist aufdringlich, weil die Titelfrage des Buchs mich beim Lesen jeder Seite kneift. Wie von selbst, habe ich begonnen zu überlegen, was ich eigentlich über die Vergangenheit meiner Großeltern weiß. Was haben sie während der Zeit des Nationalsozialismus gemacht?
Und was hat das mit mir zu tun Sacha Batthyany 1
Was aber noch viel unangenehmer ist, Sacha Batthyany begnügt sich nicht nur mit den Taten der Familie in der Vergangenheit. Er stellt sich auch sich selbst und seinem eigenen Handeln. Hätte Sacha Batthyany damals den Mut gehabt, einen Juden zu verstecken? Hätte ich den Mut gehabt? Hättest du den Mut gehabt? Ich weiß es nicht. Und damit der Sprung zur Gegenwart: Ich habe weder den Flüchtlingen geholfen noch habe ich gegen sie gehetzt. Mit mir hat das die Mehrheit der Deutschen so praktiziert und macht es immer noch. Darüber sollten wir mal nachdenken und das ist auch die große Botschaft von Sacha Batthyanys Buch.
Fazit
Sacha Batthyany hat mit „Und was hat das mit mir zu tun?“ ein spannendes und wichtiges Sachbuch verfasst. Aufgrund der Botschaft rate ich sehr zur Lektüre!